Wir brauchen mehr Ausstellung, um mehr Frequenz anzuziehen, dabei sinkt aber die Abschöpfung!
Der Möbelhandel braucht Vielfalt in der Ausstellung, um Besucher anzuziehen. Gleichzeitig reduziert die Vielfalt der angebotenen Möbel die Abschlusschancen.
Warum ist das so? Das Thema ist im Lebensmitteleinzelhandel gut erforscht. Psychologie im Supermarkt ist eine gefragte Wissenschaft. Einige Ergebnisse lassen sich aber auch auf den Möbelhandel übertragen.
Eine Ausstellungserweiterung wurde in einer Studie der Verhaltensökonomin Sheena Iyengar simuliert. In einem Supermarkt wurden die Konsumenten einmal mit einem Promo-Stand mit 6 Marmeladensorten und einmal mit 24 Marmeladensorten konfrontiert. Das Ergebnis zeigt ein frustrierendes Dilemma:
Das Auswahl-Paradox: Mehr Auswahl bedeutet weniger Abschlussquote!
Ergebnis 1: Mehr Auswahl – mehr Interessenten.
Bei einem Angebot von 6 Marmeladen beachteten nur 40% der Kunden den Stand, bei 24 Sorten waren es 60%.
Eine kleine Überschlagsrechnung zur Effizienz von Ausstellung als Kundenmagnet zeigt uns: 4 mal mehr Ausstellung ergibt nur 50% mehr Kundenfrequenz.
Ergebnis 2: Mehr Auswahl – weniger Abschlusswahrscheinlichkeit.
Bei der Präsentation von 6 Marmeladensorten entschieden sich 30% der Kunden zum Kauf. Bei 24 Sorten kauften nur 3%! Sogar die absolute Anzahl der Käufer ging bei der Vervierfachung der Ausstellung auf knapp ein Sechstel zurück!
D.h. vier mal so viel Angebot reduziert die Abschluss-wahrscheinlichkeit um 90%!
Jetzt denken Sie vielleicht: „Na, ja. So ein Experiment mit einem Promotion-Stand mit Marmeladen hat ja keine allgemeine Gültigkeit. Wir verkaufen langlebige Konsumgüter. Bei uns geht es einfach um mehr.“
Frau Iyengar ist deswegen einen Schritt weiter gegangen.
In einer groß angelegten Analyse zur Teilnahme an freiwilligen Altersvorsorgeprogrammen von Firmen in den USA (grob vergleichbar mit unseren Direktversicherungen) stellte sie fest, dass es einen negativen Zusammenhang zwischen der Anzahl der zur Auswahl angebotenen Fonds und der Teilnahmewahrscheinlichkeit gab. Wenn nur zwei Optionen angeboten wurden, nahmen 75% der Angestellten die Möglichkeit wahr, in den vom Arbeitgeber geförderten Pensionsplan einzuzahlen. Jede weitere Option führte zu einem Rückgang der Nachfrage!
Pro 10 zusätzlich angebotener Fonds sank die Teilnahme um 2,5%. Da die meisten untersuchten Firmen-Pensionsprogramme zwischen 10 und 30 Fonds zur Auswahl anbieten und es immerhin um die geförderte Altersversorgung von 900.000 untersuchten Angestellten geht, ist das eine Katastrophe!
Was bedeutet das für den Möbelhandel?
Ganz so krass sind die Ergebnisse von Flächenerweiterungen im Möbelhandel nicht. Ein 40.000 qm Haus zieht i.d.R. zwei- bis viermal so viel Frequenz wie ein 10.000 qm Möbelhaus. Die Abschöpfungsquote geht aber tatsächlich von über 30% bei kleinen, frequenzarmen Häusern auf unter 10% bei vielen Großflächen zurück!
1. Kleine Häuser haben zwar weniger Frequenz, haben aber höhere Abschlusschancen. Wir betreuen Möbelhäuser von 8.000 qm Größe die unter der Woche mit 15 Kundenpartien pro Tag überleben! Auf der anderen Seite zeigen die Insolvenzen von großen Häusern (Wesner, Feldmann) in den letzten Jahren unter anderem, dass es nicht nur um Ausstellungsfläche geht. Wir sehen in kleinen Möbelhäusern Abschöpfungsquoten von bis zu 45%. D.h. von hundert Besucherpartien kaufen 45 Möbel!
2. Häuser mit großer Ausstellung brauchen einen noch aktiveren Verkauf. Wenn Sie ein großes Möbelhaus haben, müssen Sie deswegen natürlich nicht die Ausstellung verkleinern. Sie brauchen einfach nur Verkäufer, die den Kunden durch die Vielfalt steuern!
Die Zwangswegeführung und die sogenannten „Stummen Verkäufer“ reichen da nicht aus. Da die Kunden von der Angebotsvielfalt überwältigt sind und sich dann nicht entscheiden können, brauchen Großflächen einen aktiven Verkaufsprozess, bei dem der Verkäufer sehr früh an den Kunden herankommt und seine Bedürfnisse erfragt. Hat er erstmal 10 Garnituren gesehen, ist er überfordert und will keine Entscheidung mehr treffen. Leider sind aber gerade diese Häuser meistens der Meinung, der Kunde solle sich erstmal in Ruhe umschauen.
Wenn der Kunde dann ungefähr das richtige Möbelstück entdeckt hat, wird er sich schon melden und sich etwas planen lassen. Diese Strategie ist dafür verantwortlich, dass große Häuser z.T. katastrophale Abschöpfungsquoten haben. Vorletztes Jahr machten wir eine Bedarfsermittlung bei einem Möbelhaus, das nur mit 3% aller Kundenpartien einen Auftrag schrieb!
Warum funktioniert die Strategie, den Kunden “durchdödeln” zu lassen, so schlecht? Frau Iyengar schätzt, dass wir höchstens zehn verschiedene Varianten beurteilen können, bevor unsere Urteilskraft aussetzt. Das Problem ist, dass die Kunden unseren Verkäufern nicht sagen: “Sie haben meine Urteilskraft überfordert”. Stattdessen verabschieden sie sich mit den Worten: “Vielen Dank für die gute Beratung! Wir müssen noch einmal darüber schlafen.” Und wir alle wissen ja: “Die freundlichsten Verabschiedungen sind die unwahrscheinlichsten Wiederkommer.”
Fast alle Möbelhäuser, die angebaut haben, sehen danach den Quadratmeterumsatz abstürzen. Die Abschöpfung (Kaufverträge und Möbel-Barverkäufe geteilt durch die Anzahl der Besucherpartien) wird normalerweise nicht gemessen und die Händler sind einfach unzufrieden, tappen aber im Dunkeln, was die Gründe angeht. Warum nicht? Weil sie zufrieden damit sind, sich die sogenannte „Flächenproduktivität“ anzuschauen. Die ist ja auch einfacher zu ermitteln.
„Flächenproduktivität“ ist aber im normalen Möbelhandel (IKEA ausgenommen) ein Oxymoron (= eine Zusammensetzung von sich widersprechenden Wörtern, wie z.B. Hassliebe, offenes Geheimnis, vorläufiges Endergebnis, alter Knabe)! Fläche ist nicht produktiv, sondern Verkäufer sollten es sein! Es gibt Waren, die stellt man einfach hin und wartet, bis die Kunden sie kaufen (= Supermarkt) und es gibt Produkte, die sind beratungsintensiv und da geht nichts (oder nur sehr wenig), wenn nicht aktiv kontaktet und beraten wird.
Ob Sie nun ein großes oder ein kleines Möbelhaus managen, lohnt es sich, an der Abschöpfung zu arbeiten.