Eine psychologische Waffe, die der Möbelhandel konsequent falsch herum hält und dadurch weniger wertig verkauft, als es für Kunden und Händler gut wäre.
Was ist der Anker-Effekt? Menschen sind mit dem Schätzen von Preisen überfordert. Ihnen fehlen Informationen. Daher halten sie sich bei ihren Schätzungen einfach an die erste Zahl, die ihnen in zeitlicher Nähe ihrer Entscheidung begegnet.
In einem Experiment des brillanten Verhaltensökonomen Dan Ariely (Auf Englisch hier in seinem Blog nachzulesen, auf Deutsch in seinem hervorragenden Buch mit dem launigen Titel “Denken hilft zwar, nützt aber nichts: Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen” erklärt.) wurden Studenten der Eliteuniversität MIT aufgefordert, die letzten zwei Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer zu notieren (eine Zahl zwischen 0 und 99) und danach den Preis einer wertig aussehenden Flasche Wein zu schätzen.
Und siehe da: Studenten, die sich gerade eine höhere Sozialversicherungsnummer notiert hatten, schätzten den Wert des Weins höher! “Was hat denn die Sozialversicherungsnummer mit dem Preis zu tun?”, fragen Sie sich jetzt wahrscheinlich. Sind die Studenten denn total behämmert?
Die Antwort ist: Das hat gar nichts miteinander zu tun und die Studenten sind nicht dumm. Ganz im Gegenteil: Im Souvenirshop ihrer Uni, des MIT, wird ein T-Shirt mit dem Aufdruck: “Harvard, für die die am MIT nicht genommen wurden” verkauft. Sie unterliegen nur wie alle Menschen, unabhängig von der Intelligenz, dem Anker-Effekt.
Der Anker-Effekt schlägt auch zu, wenn wir gewarnt sind. In einem weiteren Experiment (Playing Dice With Criminal Sentences: The Influence of Irrelevant Anchors on Experts’ Judicial Decision Making) wurden echte deutsche Strafrichter aufgefordert, zwei Würfel zu werfen. Die Augenzahl sollten sie als das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß betrachten und danach für einen hypothetischen Fall eine Gefängnisstrafe bestimmen.
Die Würfel waren für die eine Gruppe so “gezinkt”, dass nur 1 und 2 gewürfelt werden konnte und für die andere nur hohe Augenzahlen. Die Richter aus der Gruppe, die mit den gezinkten Würfeln höhere Augenzahlen würfelten, vergab nun tatsächlich höhere Strafen für den von ihnen zu beurteilenden Beispielfall!
Was hat das mit dem Möbelverkauf zu tun? Der Kunde, der sich ungesteuert durch die Ausstellung bewegt, sieht meistens zuerst die Einstiegspreislagen. Auf der ersten Polsterfreifläche begrüßen ihn die drei Cs: Candy, Carina und Consorten mit Preisankern wie 990 Euro, 1.180 Euro (dann aber schon scheinbar in Leder).
Auch bei Küchenausstellungen sind Möbelhausbesitzer seltsam stolz auf ihren “Preisaufbau”. Getestet wurde der viel gerühmte Preisaufbau wie so vieles im Möbelhandel nie.
Hinter dem Ausstellungsaufbau von den Einstiegspreislagen und “Eckpreislagen” (sprich: Werbeangebote) hoch zur wertigeren Ware steckt die alte Verwirrung darüber, wie im Möbelhandel nun eigentlich verkauft wird: über Ausstellung, Preisschilder und Aktionsabhänger oder über beratende Verkäufer. Meiner Meinung nach muss man sich da schon entscheiden.
Ein Preisanker ist nämlich schwer zu lichten! Denn Menschen folgen einem weiteren Effekt, den die Forscher “arbitrary coherence” nennen. D.h. wenn Menschen einmal einen Preisanker im Kopf haben, können sie sich nicht allzu weit nach oben korrigieren und bleiben oft bei ihrer ersten Idee.
Diese leidige Erfahrung machen Verkäufer, die offensichtlich anspruchsvolle, vermögende Kunden im sogenannten “Jungen Wohnen” an einer 990 Euro Garnitur aufgreifen und dann auf Himolla hochberaten wollen, laufend!
Gute Freunde von mir, die als Banker in Frankfurt über ein sattes 6-stelliges Jahreseinkommen verfügen, kauften sich, trotz meines verzweifelten Zeterns, eine Folien-Küche für 7.000 Euro! Warum? Weil das die erste Küche war, die ihnen gefallen hatte. Der herbeigerufene Verkäufer antwortete auf die behämmerte Frage: “Was kostet die Küche, so wie sie hier steht?” relexartig mit einem Preisanker, den noch nicht einmal ich, als Experte und Freund der Familie, korrigieren konnte!
Was können wir dagegen tun? Ganz einfach: Einen Verkaufsprozess einführen, der dazu führt, dass Verkäufer vor dem Warezeigen eine Vertrauensbeziehung zum Kunden aufbauen und eine Bedarfsermittlung (statt der üblichen Museumsführung) machen.