In den letzten Jahren machen viele mittelständische, stationäre Möbelhäuser Online-Shops auf. Die Einkaufsverbände helfen mit einem Baukasten und los geht's.
Nach der Strategie dahinter gefragt, höre ich: „Kollege Uwe macht damit 30.000 Euro Umsatz, den will ich auch!“. Das wäre so ok, wenn dieser neue Geschäftszweig nicht wertvolle Management-Aufmerksamkeit binden würde. Aber so ein Online-Shop läuft halt nicht von selber und jeder Versuch, einfach einen pfiffigen, jungen Angestellten zu beauftragen und dann zu warten, bis die Umsätze sprudeln, ist bis jetzt in die Hose gegangen.
Hinter der Online-Welle im Mittelstand stecken meiner Meinung nach ein fehlender Fokus auf wirklich wichtige Ziele. Viele Möbelhändler denken, sie könnten alles gleichzeitig machen. Es wird einfach jeder Umsatz mitgenommen. Der Zeithorizont ist immer von der „Chefinfo“ vorgegeben und es wird versucht, den Vorjahresumsatz zu toppen.
Was sind denn wichtige Ziele? Franklin Covey, die führende Organisation für strategische Unternehmensentwicklung weltweit, beurteilt die Wichtigkeit von Projekten nach zwei Kriterien:
1. Finanzielle Auswirkung: Um wie viel
a. steigert das Projekt den Umsatz,
b. sinken die Kosten,
c. steigt die Rentabilität oder Liquidität?
Wie sind die finanziellen Auswirkungen eines Online-Shops für ein stationäres Möbelhaus? Keiner der stationären Händler, die ich kenne, macht online mehr als 5% seines Umsatzes. Die einzige Ausnahme, Möbel Müller in Bengel, hat vor ein paar Jahren aufgegeben.
Und dieser Umsatz ist normalerweise miserabel kalkuliert. Daher geht es finanziell einfach nur um Volumen und die Hoffnung auf die nächste Bonusschwelle.
Auswirkung auf den Ertrag: unter 0,1% nach meiner Schätzung.
2. Strategische Auswirkung:
a. Nutzt dieses Projekt unsere speziellen Stärken?
b. Verbessert es unsere Marktposition?
c. ... unseren Bekanntheitsgrad?
d. Sichert es unsere Zukunft ab?
Die speziellen Stärken mittelständischer Möbelhäuser sind gute Beratung und persönlicher, netter Umgang mit dem Kunden. Das zählt im Online-Handel wenig. Worauf es da ankommt ist:
1. Preis,
2. perfekte Prozesse,
3. schnelle Kommunikation mit dem Kunden und
4. eine hervorragende Logistik.
Beim Preis können die Mittelständler nur mit Online-Spezialisten mitgehen, wenn Sie die Kalkulation außer acht lassen. Die Argumentation ist immer: „Mein Lager ist ja sowieso da und meine Lagerarbeiter und Sachbearbeiter auch.“. Mit einem Mal ist Vollkostenrechnung völlig out.
Onlinehändler müssen, wenn sie einmal den Zuschlag bekommen haben, dafür sorgen, dass es keine schlechten Bewertungen gibt. Perfekte Prozesse können Mittelständler aber ausgesprochen schlecht, denn normalerweise sind die Prozesse in mittelständischen Möbelhäusern hochgradig personenabhängig und der Inhaber ist in viele Reklamationen noch selber involviert.
Der Inhaber hat jahrelang in seinem Geschäft gearbeitet statt an seinem Geschäft und sich um jede außergewöhnliche Reklamation oder Anfrage selber gekümmert, anstatt für klare Abläufe zu sorgen, wie es seine Aufgabe wäre.
Viele Anfänger im Onlinehandel bekommen schnell Probleme mit schlechten Bewertungen, Lieferverzug und fehlender Kommunikation. Es muss nur der gerade zuständige Mitarbeiter krank sein und die E-Mails nicht beantworten und schon hagelt es schlechte Bewertungen und Ebay dreht Ihnen den Zugang ab.
In einer Studie zum Online-Möbelmarkt der Möbelkultur (April 2011) ist nachzulesen, wo die Messlatte im Bezug auf Logistik und Prozesse liegt: Die Top-Spieler Neckermann und Co. haben Wunschliefertermin, 24 Stunden-Lieferung, Web-Shops mit Videos, Zoom, Online-Chat, Rekla-Hotlines etc. All das wird ein normales mittelständisches Möbelhaus nie schaffen.
Bekanntheitsgrad? Die Möbelhäuser tarnen sich mit anderen Namen und schreiben verschämt Ihre Söhne als Geschäftsführer ins Impressum des Shops. Also auch kein Grund, online zu verkaufen.
Zukunftssicherung? Hier sind wir auf Prognosen angewiesen, wie sich der Online-Möbelhandel entwickeln wird. Experten sind sich einig, dass je höher der Warenwert, je geringer die Vergleichbarkeit und je mehr das Produkt gesehen und gefühlt werden muss, desto weniger Umsatz tatsächlich online ablaufen wird. Im Online-Geschäft gibt es auch keine lokalen Märkte. Es gibt entweder ein „The Winner Takes All“-Ergebnis bei klar definierten und vergleichbaren Produkten (Amazon, HRS) oder Nischensieger.
Meine Prognose für den Möbelhandel ist, dass in jeder Nische (Schlafzimmer-Schwebetürenschränke, Sessel, Sofas, Matratzen etc.) nur ein bis zwei Spieler übrig bleiben werden.
Da stellt sich für mich die große Frage, warum die Hersteller das auf Dauer nicht kapieren und selber machen sollten. Der einzige Grund, warum die meisten Möbelhersteller noch nicht selber in den Online-Markt eingestiegen sind, ist die, im Vergleich mit anderen Branchen, noch irrwitzig hohe Fragmentierung des Marktes.
Im Online-Markt wird aber nach der anfänglichen Euphorie eine brutale Konzentration stattfinden, dann gibt es in jeder Nische nur noch 1-2 Spieler und stationäre, mittelständische Möbelhäuser werden meiner Meinung nach nicht dabei sein.
Heißt das, dass sich ein mittelständischer Möbelhändler nicht mit dem Internet beschäftigen muss? NEIN!
Es gibt drei Trends, auf die sich jeder Möbelhändler einstellen muss
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Der Einkaufsprozess wird weitgehend online stattfinden, auch wenn der Kunde im stationären Möbelhaus kauft. In ein paar Jahren werden die ersten drei Phasen des Einkaufsprozesses des Möbelkunden, nämlich Träumen, Entdecken, Planen, stattgefunden haben, bevor der Kunde in den Laden kommt. Der Interessent wird sich online sowohl über das Möbelstück, aber auch über den Möbelhändler und seine Verkäufer informiert haben. Bewertungen spielen eine wichtige Rolle. Möbelhändler, die es nicht schaffen, diesen Phase online (z.B. auf Facebook, Instagram, Pinterest) zu begleiten und mit dem Interessenten ein Gespräch aufzubauen, bevor die Ladentür aufgeht, werden es in ein paar Jahren schwer haben.
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Informationsgeschwindigkeit. Auch mittelständische Möbelhäuser müssen in Zukunft Anfragen auf allen sozialen Kanälen innerhalb von Minuten kompetent und freundlich beantworten. Und das natürlich besonders in den Abendstunden und am Wochenende, wenn der Konsument sich online umschaut. Sie müssen in der Lage sein, über einen Video-Chat dem Interessenten schnell Produktbilder und Beratung dazu zu bieten und Ausstellungsstücke zu zeigen.
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Möbel werden noch vergleichbarer werden. Google-Lens ist nur eine der vielen Apps, die in Zukunft Produkte erkennen und deren Preis und Verfügbarkeit in der Nähe des Nutzers anzeigen werden. Das bedeutet, dass die Differenzierung aus der Beratung und dem menschlichen Miteinander kommen muss, und zwar zuerst online und dann im Laden. Die Dienstleistung wird für den mittelständischen Möbelhändler in den Vordergrund treten. Das reine Transaktionsgeschäft (Sofa gegen Geld) wird tatsächlich online gemacht werden, aber von anderen.
Was meinen Sie dazu?
Ihr Thomas Witt