Verkauf als Eliminierungsspiel
Im letzten Artikel haben wir uns mit den beiden größten Engpässen einer Verkaufsorganisation beschäftigt: nicht genug Kontakte oder nicht genug Verkaufskapazität.
Wenn es viele Kontakte, Interessenten oder Besucher gibt, wird die Zeit, die du aufwenden musst, um sie durch die Stufen des Verkaufsprozesses zu bringen, zum Problem. Du wirst Interessenten auf dieser Reise verlieren. Aber je später du sie verlierst, desto mehr Zeit hast du bereits investiert.
In diesem Fall wird Verkaufen zu einem Ausscheidungsspiel.
Schauen wir uns ein interessantes Beispiel an: die Masche mit den nigerianischen Prinzen. Dabei handelt es sich um eine unethische und illegale Betrügerei. Die Täter machen sich die Tatsache zunutze, dass es fast nichts kostet, Email-Adressen zu kaufen und Millionen von Spam-Emails zu verschicken.
Ihr Ziel ist es, die eine Person zu finden, die naiv und gierig genug ist, Geld zu überweisen, um dem unglücklichen nigerianischen Prinzen, der Prinzessin oder dem Zentralbanker zu helfen, ihnen Millionen von Dollar zur Verwahrung zu schicken. Hier ist ein Beispiel aus meinem Email-Postfach:
Technisch gesehen handelt es sich dabei um einen "Advance Fee Scam" (Vorschussbetrug). Ich bin sicher, dass auch Sie diese Art von E-Mail schonmal erhalten haben.
Hier ein gekürzter, übersetzter Text aus dem interessantesten Betrugsversuch dieses Genres:
ERSUCHEN UM UNTERSTÜTZUNG - STRENG VERTRAULICH
Ich bin Dr. Bakare Tunde, der Cousin des nigerianischen Astronauten, Air Force Major Abacha Tunde. Er war der erste Afrikaner im Weltraum, als er 1979 einen geheimen Flug zur Raumstation Saljut 6 unternahm. Bei einem späteren sowjetischen Raumflug, Sojus T-16Z, zur geheimen sowjetischen Militär-Raumstation Saljut 8T im Jahr 1989 war er dabei. Dort strandete er 1990, als die Sowjetunion aufgelöst wurde. Seine anderen sowjetischen Besatzungsmitglieder kehrten mit der Sojus T-16Z zur Erde zurück, aber sein Platz wurde durch die Rückfracht eingenommen. Seitdem gibt es gelegentlich Progrez-Versorgungsflüge, um ihn am Leben zu erhalten. Er ist guter Dinge, möchte aber nach Hause kommen.
Jahrelang habe ich mich gefragt: Warum lassen sie sich keine neuen Geschichten einfallen? Jeder auf der Welt muss doch schon von dieser Masche gehört haben, und es geht immer um Nigeria.
Wie die Wirtschaftswissenschaftler Levitt und Dubner in ihrem Buch "Think Like a Freak" erklären, ist die Offensichtlichkeit des Schwindels Teil des Eliminierungsspiels. Denn die ersten Schritte des Prozesses, das Versenden von Spam-E-Mails, kosten fast nichts an Geld und an Zeit. Aber wenn jemand antwortet und interessiert zu sein scheint, müssen die Betrüger viel Zeit in eine individuelle E-Mail-Konversation investieren, um die Zielperson davon zu überzeugen, den Vorschuss zu überweisen. Es ist also in ihrem besten Interesse, auffällig zu sein. Ihr Ziel ist es, die geschätzten 99,999 Prozent der Internetbevölkerung, die nicht naiv genug für diese Art von Betrug sind, so schnell wie möglich auszuschalten.
Aber gibt es genug naive und gierige Menschen, damit sich das lohnt? Auf jeden Fall, wenn du eine effiziente Methode hast, sie aus dem Heuhaufen herauszufiltern. Mit ihrer absichtlich offensichtlichen Strategie haben die "Nigerianischen Prinzen", die natürlich weder Prinzen sind noch unbedingt in Nigeria leben, in 2019 über 700.000 USD allein von Amerikanern ergaunert.
Ein legales Beispiel für ein Ausscheidungsspiel-Verkaufsgeschäft sind Multilevel Marketing (MLM) Organisationen. Oberflächlich betrachtet scheinen sie Dinge zu verkaufen, die viele Menschen brauchen, wie Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika. Das Besondere an ihnen ist, dass sie zusammen mit dem physischen Produkt eine "Einkommensmöglichkeit", ein "Nebengeschäft" oder ein "passives Einkommen" verkaufen. Sie verkaufen im Wesentlichen Hoffnung oder, wie die Marketer es nennen, eine "Rettungsphantasie".
Da 76% der erwachsenen amerikanischen Bevölkerung Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, gibt es jede Menge Interessenten für diese Produkte. Folglich muss der MLM-Verkaufsprozess nur Interessenten finden, die sowohl Vitamine schlucken und nach einer zusätzlichen "Einkommensmöglichkeit" suchen. Und sie müssen diejenigen aussortieren, die MLM aus irgendeinem Grund nicht mögen.
Um potenzielle Kunden zu qualifizieren - und für einen wahren MLM-Gläubigen ist jeder Mensch ein potenzieller Kunde - sprechen MLM-Verkäufer oft sofort über die Einkommensmöglichkeit. Um keine Zeit mit den "falschen" Interessenten zu verschwenden, d.h. mit Menschen, die der MLM-Branche misstrauisch gegenüberstehen, weil sie oder ihre Freunde sie ausprobiert haben, verwenden sie gezielt MLM-Schlagworte wie "Geschäftsmöglichkeit", "Nebengeschäft", "Passives Einkommen" oder "Wellness-Geschäft".
Das scheint zu funktionieren. MLM-Unternehmen verzeichnen in Deutschland einen Einzelhandelsumsatz von 19 Milliarden USD (17,5 Mrd. Euro). Das ist die Hälfte des Umsatzes, den der gesamte deutsche Möbeleinzelhandel erwirtschaftet!
Willst du ein weiteres Beispiel für einen Eliminierungsverkaufsprozess? Ein Freund von mir verkauft große Projekte für die Nature Publishing Group. Er telefoniert viel mit Organisationen und hat einen schnellen Ansatz entwickelt, um Organisationen ohne ausreichendes Budget auszuschließen. Gleich zu Beginn des Telefonats sagt er: "Projekte wie das, das ich gerade beschrieben habe, kosten normalerweise zwischen 250.000 und 750.000 Euro. Macht es für Sie Sinn, das Gespräch fortzusetzen?".
Achtung: Bevor Sie sich für eine Eliminierungstaktik entscheiden, überprüfen Sie das Gesamtbild, um festzustellen, wo der Engpass wirklich liegt - bei den Leads oder der Vertriebskraft.
Vor 20 Jahren haben wir auf der Möbel-Großfläche an Samstagen durchaus die Besucher offensiv gefragt, ob sie denn vorhätten heute zu kaufen, bevor wir in eine eingehende Beratung eingestiegen sind. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein.
Wenn Interessenten oder Kontakte für die Verkaufsmannschaft aber knapp sind, brauchen wir die entgegengesetzte Strategie:
Verkaufen als Hege und Pflege von Interessenten
Jetzt betrachten wir den umgekehrten Fall: Potenzielle Kunden sind knapp und müssen so lange gepflegt werden, bis sie eine klare Entscheidung treffen, sei es Ja oder Nein.
Mein eigenes Beratungsgeschäft ist ein gutes Beispiel für ein "Hege-und-Pflege-Spiel". Unser gesamtes "Verkaufsuniversum" besteht aus 1.000 bis 1.500 Entscheidungsträgern (Möbel- und Küchenhändlern). Und nur ein kleiner Prozentsatz davon ist zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem unserer Projekte interessiert.
Der durchschnittliche Verkaufszyklus meines Unternehmens, d.h. die Zeit, die zwischen dem ersten Kontakt und dem Vertragsabschluss vergeht, beträgt 29 Monate.
Mein Content Marketing (wie dieser Blog, mein YouTube-Kanal etc.), Empfehlungen, Vorträge usw. bringen pro Jahr zwischen fünf und zehn Unternehmen hervor, die mit mir sprechen wollen. Wenn ich also einen Anruf von einem interessierten Unternehmen erhalte, muss ich bereit sein, viel Zeit und Energie zu investieren, um es zu einem Kunden zu machen.
Daher ist mein Verkaufsprozess darauf ausgerichtet, langsam und über einen langen Zeitraum das Interesse und die Kaufbereitschaft meiner Kontakte zu entwickeln. Hier erkläre ich das in einem kurzen Video:
Worauf kommt es also an?
- Bestimme den Engpass: Ist es die Anzahl der Interessenten oder die Zeit der Verkäufer? Es kann nicht beides sein.
- Je nachdem, wie das Ergebnis ausfällt, strukturierst du deinen Verkaufsprozess entweder als "Hege-und-Pflege-" oder als Eliminierungsspiel!
Möchten Sie kostenfrei zusammen mit mir Ihren Verkaufsprozess analysieren? Das buchen Sie eine Verkaufspotenzialanalyse mit mir!
Ihr Thomas Witt
